08.10.2024

Warum Gesamtschule eine gute Idee ist

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Turnhalle vier, morgens

Zivilisierte Länder haben Gesamtschulen. In Frankreich zum Beispiel werden alle Schüler durch das Collège geschleust, und hinterher sind sie Franzosen. Das ist seit dem 19. Jahrhundert so und niemand in Frankreich käme auf die Idee, etwas anderes zu erfinden. In Finnland gehen alle Schüler bis zur neunten Klasse auf die Peruskoulu und niemand käme auf die Idee, etwas anderes zu erfinden. Warum? Weil selbstverständlich alle Menschen in einem Land auf die gleiche Schule kommen, damit sie sich kennen lernen, damit sie eine gemeinsame Basis von Werten und Wissensinhalten haben, damit sie eine solidarische Gesellschaft werden können.

Warum ist das in Deutschland anders?

Weil hier immer noch das Schulsystem des Ständestaates herrscht, wo es aus Sicht der Großen und Reichen und Schönen und Mächtigen vollkommen in Ordnung, ja geradezu gottgegeben war, dass die breite dumme Masse ein paar kümmerliche Jahre auf die Hauptschule ging und notdürftig lesen, schreiben und rechnen lernte, während die Kinder der Großen und Reichen und Schönen und Mächtigen sich auf dem Gymnasium von den Prolls abschotteten. Später übrigens, als die Kaufleute und Ingenieure merkten, dass Technik und Rechnungswesen irgendwie nützlicher waren als Griechisch und Latein, wurde für die Bürgerkinder die Realschule eingerichtet. Also gab es im 19. Jahrhundert ein dreigegliedertes Schulwesen, das einer im wesentlichen dreigegliederten Gesellschaft entsprach. Durchaus sinnvoll: Auch im Militär gab es massenweise Mannschaften, ein paar Unteroffiziere und nur ganz wenige Offiziere.

Seitdem sind aber locker 150 Jahre ins Land gegangen und haben so manche Zöpfe abgeschnitten – außer im deutschen Schulwesen. Das blüht im falschen Glanze seiner Vergangenheit und ist zeitgemäß wie eine Schiefertafel im Schulmuseum von Ribbeck im Havelland. Okay, die Dreigliedrigkeit ist einer Zweigliedrigkeit aus Gymnasium und Oberschule oder Mittelschule oder Regelschule gewichen (je nach Bundesland), aber das Prinzip ist das gleiche: Die vermeintlich Guten wollen nichts mit den vermeintlich Schlechten zu tun haben. Igitt, da könnte man sich ja anstecken und selber doof werden.

Diese Haltung ist eines zivilisierten Landes nicht würdig. Es hat sich vielleicht noch nicht überall herumgesprochen, aber Menschen aus welchen Gründen auch immer Chancen vorzuenthalten, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatten, sie zu ergreifen, ist heutzutage uncool geworden.

Konkret:  Kinder mit 10 oder 12 Jahren nach Leistung zu sortieren, ist unanständig; sie nach sozialer Herkunft in je eigene Schulformen zu schicken, ist unfair; zu glauben, ihnen damit auch noch etwas Gutes zu tun, ist bodenlos dumm. Wir an den Gesamtschulen sind der Meinung, dass in jedem Menschen große Potenziale stecken, dass man alle Kinder optimal fördern muss, dass Jugendliche einen viel öfter positiv überraschen als negativ und dass alle in ein gemeinsames Boot gehören.

Hartmut Riedel

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