16.04.2024
DeutschFachbereicheKreatives Schreiben

Wer ist sie und wenn ja wie viele?

Zu den besten raffinierten und kurzen Texte, die ich kenne, gehört jene Doppelschilderung eines und desselben Lebens, wie sie nur im Osten Europas von der jüdischen Community ausgedacht werden konnte. Hintergründig, doppelbödig, ironisch und ein genialer Kommentar zu Vorurteilen und Diversität und eine wuchtige Relativierung von Perspektiven, die einem den Stecker zieht: Gojim und Juden (Gojim, Mehrzahl von Goi = jüdische Bezeichnung für Nichtjuden).

Das kann natürlich auch von uns ausgedacht werden, merkte eine Schülerin der 9c:

Das bin ich:

Ich werde jeden morgen sanft von meiner liebevollen Mutter geweckt, anschließend gehe ich nach unten und esse Frühstück. Im Nachhinein gehe ich ins Bad, putze mir die Zähne und ziehe mich an. Natürlich mache ich mir noch die Haare schick. Meine Mutter nimmt mich morgens mit dem Auto mit und setzt mich an der Schule ab. Während des Unterrichts passe ich gut auf. Nachmittags gehe ich in den Bandraum zu meinen Freunden, wir hören und machen Musik und unterhalten uns. Abends gegen 18 Uhr fahre ich nach Hause, damit ich pünktlich zum Abendessen am Tisch sitze bin. Nach dem Abendessen gehe ich natürlich noch duschen und Zähne putzen. Am Ende des Tages lege ich mich in mein frisch gemachtes Bett und schlafe sofort ein, um am nächsten Morgen ausgeschlafen wieder in die Schule zu gehen.

Das behauptet meine Nachbarin:

Sie wird morgens aus dem Bett geworfen, frisst ihr Frühstück, putzt ihre schon vom Rauchen schwarz gewordenen Zähne und zieht ihr Hurengewand an. Natürlich muss sie noch ihre Extensions bürsten. Nachdem sie damit fertig ist, muss sie zur Schule sprinten, weil sie wie immer zu spät kommt. Und wie zu erwarten tut sie im Unterricht nichts anderes als zu stören, wodurch sie natürlich rausfliegt. Nach Schule und Unterricht geht sie sofort zu ihren Freunden zum Bahnhof um zu Kiffen, Alkohol zu trinken und sonstige Drogen zu konsumieren. Und na klar, sie kommt erst spät nachts nach Hause, frisst irgend ein Fertigfutter aus der Mikrowelle, duscht sich den Geruch von den Zigaretten weg, putzt sich den Geruch vom Alkohol von den Zähnen und wirft sich anschließend in ihr Bett, das in ihrem Raum steht, dieser Höhle, in der überall Alkoholflaschen und Drogen rumliegen, und schläft ihren Rausch aus.