Sechs Direktkandidaten an der Kant
Die Fragerunde beginnt gut. Leonie aus der 13 mit ihrem polnischen Migrationshintergrund kommt nach vorn und fragt Herrn Prüwer von der AfD. Der hat erstens gerade erzählt, dass er 1989 nach Westen geflüchtet ist, und zweitens hat er über die Flüchtlinge herumschwadroniert, die ungebremst und unkontrolliert nach Deutschland kämen. Leonie fragt, wie er ihr das erklären kann, wieso gerade er mit dieser Geschichte etwas gegen Flüchtlinge hat. Und dann eiert Herr Prüwer herum und Frau Richstein weist ihm mangelnde Logik nach und Frau Nonnemacher hat Sara in ihre Familie aufgenommen, Sara, die hier an der Kantschule gerade Abitur gemacht hat, und Herr Jabbour berichtet von einem kleinen Jungen, der aus dem Libanon vor dem Bürgerkrieg fliehen musste: Der Junge war er selbst.
Wie gesagt, die Fragerunde begann gut: Mit einer klar persönlich motivierten Frage, mit fairem und persönlichem Einsatz, mit zivilisiertem Streit, mit dem Austausch von Argumenten und Geschichten, anhand derer man sich seine Meinung bilden kann.
Zuvor allerdings …
Sie waren kurzfristig Herrn Petzolds Einladung gefolgt; in alphabetischer Reihenfolge die sechs Direktkandidaten für den Landtag aus dem Wahlreis Falkensee/Dallgow-Döberitz/Schönwalde:
Amid Jabbour, FDP
Ines Jesse, SPD
Ursula Nonnemacher, Bündnis 90/Die Grünen
Heiko Prüwer, AfD
Barbara Richstein, CDU
Jörg Schönberg, Die Linke
Es ist nicht wirklich klar, warum die Damen und Herren ihr Eingangsstatement nicht auf die Zielgruppe ausrichteten; denn das steht in Rhetoriklehrbüchern immer noch vor der Einleitung: Sorge dafür, dass deine Zuhörer dich verstehen, und interessiere sie für dein Anliegen. Schon fraglich, ob die Schüler*innen Sprechblasen, Textbausteine und Fertigbauteile aus der Phrasendreschmaschine gut fanden, mit denen man eigentlich Pressekonferenzen bestreitet, Wahlplakate zutextet und Werbeflyer volldruckt. Dem Berichterstatter als Deutschlehrer, der er ist, gelang es meist, einen roten Faden in die Ausführungen einzuflechten, aber ob die Jugendlichen das hinbekamen, fragt er sich durchaus.
Und danach dann …
Dann verirrte sich die Frage nach der Entwicklung des ländlichen Raums in die Diskussion (in Falkensee! wo eher andere Probleme Priorität haben) und außer bei der Frage, ob man mit dem ÖPNV nach nächtlichem Clubbesuch vom Berghain aus zurück nach Waldheim findet, hielt sich die Dringlichkeit der Problemlage in Grenzen. Dachte zumindest der Berichterstatter, der eher gehofft hatte, dass abfackelnde Amazonas-Regenwälder (Umwelt! Klimawandel!) oder sich im langsamen technischen Sinkflug befindliche Smartboards bzw. das Verbot von Messenger-Apps an Schulen (Digitalisierung, aber mal ganz konkret) aufs Tapet kommen würden.
Frau Jesse sagte im Abgang noch, man solle das Richtige wählen, und dem kann man sich wohl unbesehen anschließen, und die anderen Kandidat*innen stellten sich Diskussionen im kleinen Kreis: Vielleicht sind da noch unvergleichliche Erkenntnisse aufgeblitzt.
Die Schüler*innen jedenfalls fanden die Veranstaltung “interessant”, “lehrreich”; sie wunderten sich über das “Angezicke” auf der Bühne und wie dergleichen O-Töne mehr sind; man habe aber auf jeden Fall wichtige Erkenntnisse mitgenommen.
Der Schreiber dieser Zeilen ist der Ansicht, dass das Format eigentlich aufgebrochen gehört, damit mehr direkter und spontaner Dialog zustande kommt und mehr Fragen möglich werden. Aber wie auch immer, ein großes Dankeschön gebührt Herrn Petzold, der seine Ex-Kollegen motivieren konnte, Politik live in die Aula unserer Kantschule zu bringen. Das waren auf jeden Fall lehrreiche 90 Minuten.
Und sei es nur wegen dieses einen neuen Wortes, das einer der Kandidaten erfunden hat. Er betonte nämlich einmal in Bezug auf seine Partei: “Wir haben uns nicht aus Lust und Launerei heraus gegründet.” Na denn.
Hartmut Riedel